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Eine MCS-Erkrankung ist nicht wie eine Berufskrankheit festzustellen.

Datum: 14.02.2011

Kurzbeschreibung: 

Die 1. Kammer des Sozialgerichts Karlsruhe hatte sich erneut mit der Frage zu befassen, ob eine Multiple-Chemical-Sensitivity-Erkrankung wie eine Berufskrankheit festzustellen ist. Eine solche Feststellung kommt bei einer Gesundheitsstörung in Betracht, die nicht als sog. Listenkrankheit in die Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) aufgenommen ist oder bei der die dortigen Voraussetzungen nicht vorliegen, sofern im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Bezeichnung in der BKV erfüllt sind. Dazu ist erforderlich, dass der Versicherte einer bestimmten Berufsgruppe angehört, die durch ihre Arbeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung besonderen Einwirkungen ausgesetzt ist, die nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft eine MCS-Erkrankung verursachen. Das Merkmal der „gruppenspezifischen Risikoerhöhung“ ist dann als erfüllt anzusehen, wenn hinreichende Feststellungen in Form medizinscher Erkenntnisse dafür vorliegen, dass Angehörige der Berufsgruppe des konkreten Versicherten durch ihre Arbeit Einwirkungen ausgesetzt sind, mit denen die übrige Bevölkerung nicht in diesem Maß in Kontakt kommen (Einwirkungshäufigkeit) und die geeignet sind, eine MCS-Erkrankung hervorzurufen (generelle Geeignetheit). „Neu in diesem Sinne sind medizinische Erkenntnisse, wenn sie sich nach der letzten diesbezüglichen Prüfung durch den Verordnungsgeber bzw. den ihn beratenden Ärztlichen Sachverständigenbeirat entwickelt oder im Sinne eines generellen Kausalzusammenhangs verdichtet haben.

Diese Voraussetzungen sind in Bezug auf eine MCS-Erkrankung nach dem Ergebnis einer vom Gericht beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales eingeholten Auskunft - weiterhin (vgl. Gerichtsbescheid vom 19.05.2008 - S 1 U 236/08 -) - nicht erfüllt. Danach liegen dem Verordnungsgeber derzeit keine validen Erkenntnisse über einen tatsächlichen Zusammenhang zwischen einer MCS und der Exposition gegenüber bestimmten Einwirkungen im Sinne des § 9 SGB VII vor. Die wenigen bisher vorhandenen Publikationen, die Kollektive von MCS-Patienten und ihre Berufen beschreiben, greifen auf nicht validierte Datenbasen selbst berichtender Patienten zurück. Bisher liegen dagegen keine Erkenntnisse von Studien vor, in denen mit erkennbaren Qualitätsstandards versucht worden wäre, einheitliche Kollektive zu definieren und zu beschreiben Die MCS-Krankheit ist durch rezidivierende, multiple Symptome in mehreren Organsystemen gekennzeichnet; erstere werden durch wahrnehmbare Expositionen gegenüber einer Vielzahl unterschiedlicher, chemisch nicht verwandter Stoffe ausgelöst (z.B. Chemikalien aus Holz, Fußböden, Lacken, Farben, Papier, Reinigungsmitteln, Lösungsmitteln, Kosmetika, Duftstoffen, Metallen, Treibstoffen), deren Konzentrationen weit unterhalb bekannter toxischer Wirkungsquellen liegen. Sowohl die Zahl der reaktionsauslösenden Substanzen als auch die Vielfalt der erlebten Symptome tendiert im Krankheitsverlauf zur Zunahme. Kausalitätsbeziehungen zwischen einer MCS und berufsbedingten Einwirkungen bei bestimmten Berufsgruppen konnten bislang jedoch mangels messbarer und reproduzierbarer gesundheitlicher Effekte nicht objektiviert werden. Vielmehr kommen die Betroffenen aus den verschiedensten Berufsgruppen und führen - wie auch der Kläger - seine Erkrankungen auf unterschiedlichste Einwirkungen und Schadstoffe zurück. Vor diesem Hintergrund kann ein kaum eingrenzbares Krankheitsbild wie die MCS als mögliche Folge einer fast beliebig ausweitbaren (Schad-)Stoffexposition wegen der besonderen Bedingungen des BK-Rechts derzeit nicht für eine Aufnahme in die BKV anerkannt werden. Insbesondere die „generelle Eignung“ der unterschiedlichsten Stoffkombinationen für die Verursachung von in unterschiedlichen Ausprägungen und Formen auftretenden Krankheitsbildern ist bei derartigen Fallgestaltungen nicht zu belegen. Überdies liegen keine „neuen“ gesicherten medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse darüber vor, dass die Personengruppe insbesondere der Maler und Lackierer, der der Kläger angehört, aufgrund der besonderen Einwirkungen bei der beruflichen Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung an einer MCS leidet. Aufgrund der völlig heterogenen Berufsgruppen, in denen Betroffene ihre MCS-Erkrankung auf berufliche Einwirkungen zurückführen, kann eine gruppentypische Risikoerhöhung nicht festgestellt werden. Aus dem Ergebnis einer unter Federführung des Robert-Koch-Instituts, Berlin, durchgeführten „Studie zum Verlauf und zur Prognose des MCS-Syndroms - Erweiterung der Basis-Stichprobe und Nachuntersuchung“ ergeben sich ebenfalls keine verwertbaren Hinweise über die Ätiologie des MCS-Syndroms. Infolgedessen hat sich der Ärztliche Sachverständigenbeirat „Berufskrankheiten“ beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales bislang auch nicht mit dieser Problematik befasst und sind entsprechende Beratungen nicht geplant, wie das Bundesministerium für Arbeit und Soziales in seiner vom Gericht eingeholten Auskunft überzeugend dargelegt hat (Gerichtsbescheid vom 14.02.2011 - S 1 U 3054/10 -).

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